Schweden Tag 1
Diesmal ist Schweden plötzlich da. Noch vor drei Stunden war es Deutschland, dann eine Fähre im Niemandsland, dann Dänemark. Wir kommen gleichzeitig mit der Dunkelheit in Malmö an. Die Hotelunterkunft, die wir erst während der Fahrt gebucht haben, als sich herausstellte, dass es von Rodby bis zur schwedischen Grenze nicht mehr als zwei Stunden sind, ist teuer, aber wir wollten nicht noch ein zweites Mal im Auto nächtigen. Im Aufzug begegnen wir lauter Leuten mit Gläsern in der Hand, Biergläsern, Cocktailgläsern, vollen, gebrauchten. Wir selber beenden den Abend mit einem Schluck lauwarmem Spätburgunder aus unserer mobilen Autobar.
Der Samstag beginnt windig und bleibt es den ganzen Tag. In meinem linken Auge hat sich eine Bindehautentzündung vom gestrigen Fehmarn-Wind breit gemacht, ich bin quasi blind bzw. Einäugig. Was für ein Glück, einen erwachsenen Sohn zu haben, der das Steuer übernimmt! Entspannte grüne Fahrt nach Växjö. Unser erstes Urlaubsdomizil ein falunrotes geducktes Häuschen auf einer Farm: Es gibt Hunde, Katzen, Enten, Schafe, Schweine und Fliegen. Und das Paradies eines unglaublichen Gemüsegartens, von dem wir uns bedienen dürfen. Kajsa und Thomas, die netten Vermieter: „Take what you want!“ Und das tun wir – nachdem wir mit dem Fahrrad eine erste Erkundungsrunde gedreht haben – mit einem moorigen See, Lupinen und ein paar Pilzen am Wegrand. Letztere gehen in unser erstes Ferienmahl ein. Im Freien regiert der Wind – so essen wir drinnen, ohne Sterne, ohne Mond, dafür mit viel Knoblauch und einem vorzüglichen Kaiserstühler Gewürztraminer.
Schweden, Tag 3
Nach zwei grünen Tagen mit Schreiben, Lesen, Liegen, Laufen trübt sich das Wetter ein – Zeit für Sightseeing. Växjö, die Glasbläserstadt, hat eine Kirche, die mir allein schon deswegen gefällt, weil ihr Mauerwerk rot ist, aber nachdem wir eingetreten sind, gefällt mir auch alles andere. Besonders die Art, wie Alt und Neu miteinander eine Synthese eingehen und sich zu einer harmonischen Einheit zusammenfügen. Moderne Glaselemente im gotischen Altarbereich, und den Chor ziert ein Fenster in geradezu poppigem CSD-Pink – super! Dann gibt es noch einen gläsernen Baum der Erkenntnis, an dem filigrane Äpfel hängen – und eine Eva sitzt mittendrin, pflückt und gibt auch ihrem Adam was ab, so wie sich das in einer guten Beziehung gehört.
Neben der Kirche bleibt das übrige Växjö blass. Eine Universitätsstadt, lesen wir im Reiseführer und staunen. Nach ein, zwei Straßenzügen wird es schnell langweilig. „Aber he, endlich sieht mal mehr als drei Leute auf einem Fleck.“ – O-Ton Julian. Er ist gespannt auf Stockholm, ob sich das wirklich abhebt von diesen Kleinstädten im „kleinen Land“ ( = Smaland) , die sich alle ähneln in ihrer gewissen Biederkeit und Provinzialität, sei es Västervik, Vimmerby oder eben Växjö. Vielleicht steht das V für verschlafen, geht es mir durch den Kopf, aber nein, das ist vrech. Sowieso sind Mutter und Sohn sich einig, dass wir, sollten wir jemals hier leben, dies nur in einem provinziellen falunroten Schwedenhäuschen auf dem Land tun wollten.
Es fängt an zu regnen und wir kehren zurück in das, das wir derzeit unser eigenes nennen auf Zeit. Ich pflücke grünen Mangold im Paradiesgarten und gehe eine Runde joggen.
P. S. Eine Stunde später zurück vom Laufen – Nein, ich bin nicht von den Mücken gefressen worden, nur fast. Nur nicht stehenbleiben, auch nicht zum Fotografieren, sonst hat man verloren!
P. P. S. Zwei Details vom Växjö-Besuch habe ich noch vergessen. 1. Im Supermarkt sind einzelne Paprika in Plastik verpackt. 2. Der Växjöer Marktplatz ist Parkplatz. Nicht die Hoffnung, nein, die Dummheit stirbt zuletzt!
Schweden Tag 4
Grauer Dienstag in Växjo, Schweden. Wir sind auf der Glasbläserroute unterwegs, die bis nach Nybro geht. In den Glashütten kann man den Glasbläsern bei der Arbeit zusehen. Es riecht dort so gut nach Holz und Hitze. Ein heißes Handwerk: Die hergestellten Gegenstände werden in einen Eisschrank gestellt und brauchen 12 Stunden zum Abkühlen. Eine Zeitung, in eine soeben geblasene Vase gehalten, fängt Feuer.
Um 18 Uhr, was hier mitten am Tag ist, machen die Glasrikets zu und alle Zeit der Welt gehört der Natur. Rückfahrt vorbei an lila Heidekraut-Teppichen, Seen und Wald, Wald Wald. Bei einem Streifzug springen Pfifferlinge in meine Stofftasche – die werden später Teil eines fast veganen Nachtessens.
Schweden Tag 5
Auf dem Weg nach Mariefred, bekannt durch Schloss Gripsholm, welches einst die Kulisse für Tucholskys gleichnamigen Sommerroman hergab. Wir haben dort ein Häuschen für Teil 2 unseres Schwedenurlaubs gemietet. Eksjö liegt auf dem Weg, läge es dort nicht, würden wir hoffentlich den Umweg fahren, denn der lohnt sich allemal. Es gibt dort eine komplett erhaltene Holz-Wohnbebauung aus dem 16. Jahrhundert, wie ich sie noch nie gesehen habe. Das intensive Rotbraun der Häuser ist zweifellos für mich persönlich erfunden worden! Dazu passend das Feiertagsblau des Himmels. Fotomotive für Mutter und Sohn gibt es denn auch in Mengen. Dann heißt es weiterfahren: Immer noch liegen mehr als 300 Kilometer bis in die Gegend um Stockholm vor uns. Welch riesiges Land – und dabei bewegen wir uns immer noch im unteren Zipfel Schwedens! Die Landschaft dagegen fällt kaum aus ihrer Rolle und ändert sich nur unwesentlich. Mehr Kornfelder als um Växjö, findet Julian, und ich sage: weniger Falunrot bei den Gebäuden, aber dann erreichen wir unser Häuschen und das ist so rot und schwedisch wie nur was. Es hat einen gemütlichen Vorbau, steht unter einer riesigen knorrigen Eiche und ich wollte schon immer mal unter Eichen schlafen. Auch sonst stimmt alles, Ambiente, Ausstattung, nur in der Küche fehlt ein Pfannenwender, so dass man sich beim Braten von Grillkäse und Zucchini zurückversetzt fühlt in die Zeit blöder Kindergeburtstagsspiele, bei denen man Schokolade mit Messer und Gabel essen oder sich mit sonstigem Blödsinn zum Affen machen musste. Egal, am Ende schmeckt das Essen trotzdem, der Wein sowieso, und dann werden die Beine hochgelegt vor dem Kamin, in dem Julian das erste Herbstfeuer entfacht hat – der Abend ist schließlich kühl, ab morgen ist August und die Wildgänse haben mit der Saison hier auch schon abgeschlossen und machen sich auf den Weg gen Süden. Ihr Geschnatter hoch oben in der Luft ist weithin zu hören. Wir bleiben noch ein paar Tage. 1600 Kilometer sind wir jetzt weg von Zuhause! Gute Nacht!
Und heute – Schweden Tag 6 – ist einfach mal Urlaub, unter der knorrigen Eiche und am Mälaren….
Schweden Tag 7
Dieser Tag, kühl aber sonnig, gehört Stockholm. Nach den ruhigen grünen Tagen trifft uns der Kulturschock mit voller Wucht. Es fängt ganz harmlos an. Überschaubar, fast ein bisschen verschlafen die Demo der FFF-Aktivist*innen, die sich an diesem Freitag zum 50. Mal am Mynttorget, bei der Brücke zum Reichstag treffen: etwa 100 Klimaschützer*innen, Alte und Junge, Einheimische und Touristen wie wir, Children, Parents, Physiotherapists usw. for Future – mit zweien komme ich später ins Gespräch. Nach Greta halte ich erst gar nicht Ausschau, kann mir nicht vorstellen, dass sie zu diesem Zeitpunkt (früher Nachmittag) überhaupt noch da ist – und dann sehe ich sie. In einer Ecke gegen ein Kiosk gedrückt, umgeben von ein paar Freundinnen und belagert von großen Leuten, die sie durch das Auge ihrer noch größeren Kameras fixieren und Fotos schießen. Greta in ihrem pinkfarbenen T-Shirt mit einem Raubtier vornedrauf ist noch kleiner, als ich sie mir vorgestellt haben. Verschlossener Gesichtsausdruck. Sie redet mit niemandem. Stattdessen schaut sie in ein Buch. „Tyst“, das heißt Stille, schauen wir später nach. Gerne würde ich ihr Danke sagen für das, was sie tut, was sie in Bewegung gebracht hat. Aber das will wohl jeder hier. Ich lasse es bleiben. Es soll eine Art Gästebuch geben, in das man schreiben kann, das aber nicht auffindbar ist.
Vom Mynttorget aus ist es noch nicht mal ein Katzensprung nach Gamla Stan. Und da ist es mit der Beschaulichkeit vorbei. Die Spezies Mensch wälzt sich kreuz und quer durch Stockholms Altstadt, allein, in Gruppen, in endlosen Bandwürmern, angeführt von Herdenführern mit lauten Stimmen und blauen, grünen oder roten Fähnchen in der Hand. In allen Großstädten der Welt ist das das Gleiche! Einmal die Västerlänggatan lang und du hast genug. In den Seitengassen ist es ruhiger. Und da sehe ich, dass Stockholm eine gelbe Stadt ist, gelbe Häuser, gelbe Kirchen – davon übrigens ziemlich viele und immer zu große – manche Fassaden wirken wie mit Eigelb angestrichen. Mein Lieblingsgebäude allerdings ein rotes mit Rüschengiebel auf der Stortorget, wo sich auch das Nobel-Museum befindet – für einen Besuch reicht die Zeit nicht. Gleiches gilt für die Vasa. Die Toilettenhäuschen beim Schloss sind maigrün und originell, das Schloss mit sage und schreibe 604 Zimmern dagegen ein bisschen langweilig. Brunnen, Lopis-Läden, Fikas, Restaurants unter Bäumen, aus den Cafés und Eisdielen duftet es süß nach Waffeln und Gebäck – und überall, wo es schön ist, auch Menschen. Auch auf der Drottinggatan in der neueren City auf Normalm. Heumarkt, Skulptur ‚Orpheus‘ von Carl Milles, Centralbadet mit Chlorgeruch, stilvollem Café und viel Grün. Die Füße tun weh. Das Systembolaget führt cirka eine Million Biermarken, das von einem geschätzten fb-Freund empfohlene „Spendrups Old Gold“ jedoch fehlt im Sortiment. Also wieder Wein heute Abend – den wir nach Sichtung der Stockholmer Menüpreise und anschließendem Einkauf im Supermarkt zusammen mit einer wunderbaren Fischkreation à la Julianese in der schnuckligen Wohnküche „unseres“ Häuschens in Mariefred zu uns nehmen.
Nachts träume ich von der Demo am Mynttorget. Von Klimaschützern, Jungen und Alten, Einheimischen und Touristen, von Plakaten und Kameras. Und Greta liest.