Als Kinder haben wir „Die
Reise nach Jerusalem“ gespielt und ich habe mich immer gefragt,
warum gerade Jerusalem? Und wieso kommen nicht alle an, die wollen,
weshalb muss man dieses blöde Spiel so lange spielen, bis nur noch
ein einzelner übrig ist, der reindarf, allein macht das doch gar
keinen Spaß?
Heute bin ich nicht allein. Unser Bus hat für alle
Platz, alle dürfen mit. In Yad Vashem ist für einen Moment die Zeit
stehen geblieben. Aber dann geht es doch weiter, es geht ja immer
weiter, so oder so oder so.
Jerusalem: Wie immer bin ich
unvorbereitet. Auf der Fahrt rasch im Reiseführer das
Allerwichtigste überflogen. In meinem Kopf ein Gewirr von Namen,
Ölberg, Gethsemane, Al Aqsa Moschee, Felsendom, Tempelberg, Via
Dolorosa, Stadtmauer, Klagemauer, Jüdisches Viertel, Muslimisches
Viertel, Armenisches Viertel, Christliches Viertel und Kirchen,
Kirchen, Kirchen. Das alles auf einem Gebiet von ein paar
Quadratkilometern.
Es ist Freitag. Die Stadt voller Menschen. Alle
auf dem Weg irgendwohin: in den Sabbat, zum Sightseeing, zum
Shopping, zum Freitagsgebet. Zur Klagemauer, an der vielleicht schon
Jesus gebetet hat. Von weitem erhascht man einen Blick auf die
goldene Kuppel im Tempelbezirk.
Die Klagemauer ist in einen
Männerbezirk und einen Frauenbezirk eingeteilt. Der Männerbezirk
ist doppelt so groß wie der für die Frauen und schön. Der
Frauenbezirk ist voll. Überfüllt. Vor der Mauer drängen sich
Frauen jedes Alters mit und ohne Kopftuch, mit und ohne Kinderwagen,
große Mädchen, kleine Mädchen. Es wird geweint und laut geklagt,
gebetet, gemurmelt, geseufzt. Hände pressen sich gegen die Mauer, in
deren Ritzen Zettelchen und Papierfetzen bedeckt mit stummen Klagen
in Schriftform stecken.
Von der Klagemauer geht es durch den Souq
der Altstadt zur Erlöserkirche. Wir haben dort ein Date mit der
Pfarrerin der Deutschen Gemeinde. Das Gespräch knüpft an unsere
Eindrücke beim Passieren der Westbank und morgens in Yad Vaschem an.
Wieso dieser rigide menschenverachtende Umgang der Israeli mit den
Palästinensern nach ihren Erfahrungen der Shoah? Keiner von uns
bringt das in seinem Hirn zur Deckung. Die Pfarrerin sagt: Wir wollen
nach dem Holocaust nie wieder Täter sein, sie (die Israeli) nie
wieder Opfer.
Ich denke: Es ist wie der Blick in einen Spiegel –
Man sieht das Gleiche, bloß seitenverkehrt. Den Gedanken mit dem
Spiegel habe ich abends, als wir Jerusalem verlassen und durch den
Checkpoint nach Bethlehem in der Westbank fahren, noch einmal. Zum
ersten Mal sehe ich die Mauer. Ein Betonbau, doppelt so hoch wie das
ehemalige Berliner Schwestergebilde, mit Stacheldraht aufgestockt und
teilweise mit Graffiti besprüht. Die Israeli haben diese Mauer
hochgezogen, als Schutzwall gegen die Palästinenser. Und wieder muss
ich denken: Die spiegeln uns – auf gleichermaßen groteske wie
irgendwie fast lächerliche Art.
Von Lichtblicken hat die deutsche
Pfarrerin auch gesprochen. Hat erzählt von Rabbinern für
Menschenrechte, die sich derzeit als menschliche Schutzschilde vor
die Palästinenser stellen, die von den jüdischen Siedlern an der
Olivenernte gehindert werden. Für die Zukunft sieht sie dennoch
schwarz. Für den jüdischen Mainstream sind die Palästinenser
Terroristen, mit denen man nicht reden kann. Die Bevölkerung ist so
beschäftigt mit dem Pflegen ihrer internen Feindbilder, dass für
andere drängende Probleme keine Zeit bleibt. Klimaschutz?
Fehlanzeige. Das Thema ist in Israel noch gar nicht angekommen. Es
gibt in diesem Land, das Wüste im Überfluss und alle Sonne der Welt
hat, so gut wie keine Solarparks. Von irgendwelchen Alternativen zur
Plastikseuche erst gar nicht zu reden.
Der Tag in Jerusalem war zu
kurz.
Vielleicht gibt es am Sonntag eine Neuauflage.