Victoria Falls war der Point of Return, weiter in Afrikas Zentrum werden wir nicht vordringen. In sein Herz schon. Sechs Tage haben wir noch bis zum Rückflug ab Windhoek. 3400 Kilometer haben wir seit unserer Ankunft hinter uns gebracht, ab jetzt werden wir es etwas geruhsamer angehen lassen. Das Camp Kwando im östlichen Teil des Caprivi- oder wie er jetzt heißt – Sambesistreifens nennt sich nicht nur Buschcamp sondern ist es auch. Auf Sandpiste rollen wir an abgelegenen Dörfern mit Rundhütten, Gemüsebeeten und kleinen Maisfeldern vorbei. Wohin? Ins Outback. Es ist Sonntagnachmittag und unglaublich friedlich. Familien, Mütter mit Kindern gehen spazieren. Vor einem „Café“ hocken Männer um ein Feuer und glotzen. In einem der Dörfer begibt sich eine Prozession buntgekleideter Mensch irgendwohin. Unsere Piste endet beim Camp. Hier haben wir einen Zeltbungalow direkt am Kwando River gemietet und wollen zwei volle Tage bleiben. Ab sofort ist Urlaub. Von allem. Oder fast allem. Wir haben Bad, Elektrizität und Steckdosen, um unsere Geräte aufzuladen, aber wir haben keine Klimaanlage und vor allem: kein Internet. Vielleicht die größte Herausforderung. Das größte Abenteuer. Abgeschnitten sein von seinen Lieben und der Welt – so wie früher, wenn man mal länger in entlegenen Gebieten unterwegs war. Halten wir das aus? Nicht mal SMS kann man versenden. Telefonieren? Keine Ahnung.
Im Camp hält man sich im dreigeteilten offenen Hauptgebäude unter mit Stroh gedeckten Zeltdächern auf. Hier wird gegessen, hier kann man sitzen und schreiben, trommeln, spielen – und das mit Stil. Überall steht Kunsthandwerk herum, meist Getier, ein dicker Hippo, eine hochaufgeschossene Giraffe, Hühnchen, Hähnchen, Elefanten. Weit ab von der Zivilisation sind wir, lightyears away from home, ganz nah am namibischen Herzen, am African Spirit. Mehr Afrika geht nicht. Und auch noch nachhaltig. Die Lodge ist zu 95 Prozent autark. Solaranlagen produzieren warmes Wasser, eine größere Photovoltaik-Anlage erzeugt Strom. Das Essen kommt aus ökologischem Anbau. Gretchen mit seiner nervigen „Wie hältst du’s mit der Klimakrise?“-Frage hat für einmal nix zu melden. Für einmal haben wir alles richtig gemacht.
Die Leitung der Lodge ist – dreimal darfst du raten – deutsch und sorgt auch noch für Atmosphäre. Kerzen in Papiertüten brennen, auf einer Terrasse Holzscheite in einer Feuerschale. Es ist gewittrig. Blitze zucken. Ein Schauer, nein Schäuerchen geht nieder. Das meiste bleibt in der Luft. Es ist unglaublich feucht. Meine Frisur habe ich aufgegeben. Sobald es dunkel wird, klicken die Frösche. Es klingt, als ob jemand mit Geschirr klirrt.
Müde. Müde vom Abfahren, Ankommen, Abfahren und so weiter.
Im Zelt unter dem Moskitonetz, dem Strohdach und den beunruhigenden Sternen schläft es sich fast wie im Freien. Es schläft sich ziemlich gut. Gegen Morgen ist mir, als schliche jemand über unseren Steg. Ausdauernd hustend. Ich stecke mir Ohropax in die Ohren und schlafe wieder ein.
Himmlisches Frühstück. Himmlisch, nicht wegzumüssen, nirgendwohin. Nicht genug Zeit, um im Hier und Jetzt anzukommen, aber doch um die Einschläge zu realisieren, die in den vergangenen Tagen aus der Heimat mitten in die Reise geplatzt sind: Mein neuer Roman, seit Monaten bei dtv liegend, ist abgelehnt worden. Ein kleiner Tod. Dazu ein großer: Ein lieber Mensch ist gestorben – ganz überraschend – und wird nach meiner Rückkehr von mir beerdigt werden.
Manchmal kommt früh am Morgen die Schwermut. Wir haben nur ein Leben und manchmal kann es so schnell zu Ende sein. Der Tod macht keinen Urlaub. Das weiß ich theoretisch, seit ich neun Jahre alt bin, mit dem Älterwerden wird aus der Zeit, die ich noch habe, eine Frist. „Let’s pick the day!“ – welche Antworten gibt es noch auf die Tatsache unserer Endlichkeit?
Der Game Drive am Nachmittag ist eine davon. Ich möchte gerne Hippos sehen – und unser Driver tut wirklich alles dafür, aber an diesem Tag gibt es „nur“ Elefanten, Affen, einen Schakal, wiederum Elefanten und Affen und als Highlight einen Leoparden, der, Liebesschreie ausstoßend, an der Straße entlang läuft und uns ausgiebig Gelegenheit gibt, ihn zu fotografieren. Auf die Nilpferdsippe, die im Kwando River planscht, müssen wir einen Tag länger warten. Einen tomatenroten Sonnenuntergang gibt es gratis obendrauf.